Hallo liebe Sara,
bei meiner Suche nach einer Verbindung zwischen BDSM und Spiritualität, die ich in mir schon sehr lange spüre, aber bisher als seltsame Verirrung abgetan hatte, bin ich soeben auf deine Gedanken zu Katharsis und BDSM gestolpert. Ich danke dir sehr für diese äußerst inspirierenden und erhellenden Informationen und Gedanken. Sie zeigen mir, dass du aus Deinem Herzen heraus und sehr feinfühlig und einfühlsam arbeitest und gern hinter die Dinge schaust. Du schreibst auf dieser Seite wie eine "echte" Therapeutin und einfühlsamer als alle Therapeuten, die ich bisher kennen gelernt habe! Beim Lesen wurde es in mir ganz still, und danach hatte ich den sehr starken Impuls, darauf zu antworten, um dir ein Feedback aus meiner eigenen Erfahrung heraus zu geben, weil ich das Gefühl habe, dass es dich möglicherweise interessieren könnte (falls nicht, vergiss es bitte einfach ).
Mangels einer Partnerin fessele ich mich seit vielen Jahren hin und wieder selbst und empfinde dies sehr oft nicht nur als sexuell sehr stimulierend, sondern auch als sehr reinigend und klärend. Ich erlebe mich selbst als hochsensitiv und genieße es sehr, sinnliche Erfahrungen zu machen, weil sie mein (Er-)Leben immens bereichern. Aufgrund meiner Konditionierung dachte ich aber bislang, dass diese "dunkle" Angewohnheit und Vorliebe des Selbstfesselns krankhaft und "ver-kehrt" (lat. "per versus") sei und meine spirituelle Entwicklung und mein Streben nach dem "Licht" eher behindern würde, da sie (nach meiner "erlernten" Meinung) zu sehr an den "niederen" Instinkten und Trieben verhaftet und "Teufelszeug" sei und eine Form der Anhaftung sei, die ich schnellstens los zu lassen hätte, wenn ich voran kommen wollte. Deshalb hatte ich bisher nach jeder solchen "Entgleisung" (die für mich bis vor kurzem hauptsächlich eine Kompensationsstrategie zum Stressabbau war, Stichwort "Glückshormone " etc.), der bisher immer ein anwachsendes inneres Verlangen und ein starker innerer Leidensdruck voraus ging, wochenlang ein lähmendes schlechtes Gewissen, das oft in einen depressiven Schub mündete - bis mir vor 2 Wochen meine innere Stimme unüberhörbar deutlich sagte, dass Licht (YANG) und Dunkelheit (YIN) überall im Kosmos eine untrennbare Einheit bilden und dass ich mein spirituelles Ziel nur erreichen könne, wenn ich mich GANZ, also mit allen höheren ("lichten") UND niederen ("dunklen") Aspekten annehmen würde. Jetzt erschien mir der Weg klar und sehr viel leichter.
Und in jenem Augenblick, in dem ich damit aufhörte, meine BDSM-Neigung als eine Ablenkung von meinem Weg oder als ein Hindernis zu sehen und damit begann, sie als einen WESENtlichen Aspekt meiner Seele anzunehmen, zu lieben und mich ihm voll und ganz, d.h. ohne irgendeine positive oder negative Erwartung hinzugeben, spürte ich, wie sich nicht nur meine unteren Chakren und Energiekanäle, sondern auch mein Herz- und mein Kronenchakra in einer so vollkommenen Weise öffneten und ausdehnten, wie ich es in den ganzen letzten 15 Jahren intensivster spiritueller Kultivierung noch nie erlebt habe. Dabei fühlte ich, wie sich meine sexuelle (YIN-) und meine spirituelle (YANG-) Energie gegenseitig durchdrangen und verbanden, was mir davor bei keiner tantrischen Übung gelungen war. Seitdem wird mein ganzer Körper von einer strömenden Energie, Selbstliebe und Lebensfreude durchdrungen, die so unbeschreiblich ist, dass ich dabei oft weinen muss. Seit diesem Erlebnis fühle ich mich viel "ganzer", heiler und vollkommener, und sehr stark an den Kosmos angebunden, und seitdem spüre ich, wie meine Ängste und depressiven Symptome immer mehr verschwinden und mein Vertrauen in das Leben, das Universum und die göttliche Kraft immer mehr an Stärke und Beständigkeit gewinnt. Mein schlechtes Gewissen ist völlig weg, und die Motivation zum (Selbst-)Fesseln geschieht nun nicht mehr so stark aus einem Leidensdruck heraus, sondern mehr aus purer Selbstliebe, Neugier und Lebensfreude. Diese Erfahrung stellt jede Therapie und jede Meditationssitzung, an der ich bisher teilgenommen hatte, total in den Schatten.
Das einzige, was ich mir jetzt in dieser Hinsicht noch äußerst sehnlichst wünsche, ist die reale Erfahrung, mich von einer liebe- und hingebungsvollen Partnerin fesseln zu lassen und dabei selbst vollkommen passiv sein zu können, alles über mich ergehen zu lassen und darin vollkommen aufzugehen (seit ich mich auch dafür lieben und wertschätzen kann, ist dieser Wunsch sogar noch einmal sehr viel stärker, klarer und aufrichtiger geworden, da mir der "Alleingang" jetzt, wo ich spüre, was mit einer Partnerin tatsächlich alles möglich ist, doch etwas unbefriedigend erscheint), aber dies hier nur am Rande
Wie Du selbst schreibst, kann die BDSM-Praxis zwei Dinge bewirken, die auch bei jeder spirituellen Praxis von entscheidender Bedeutung sind: 1. die absolute Präsenz im Hier-und-Jetzt und 2. das vollständige Loslassen jedes "Machen-Wollens", die bedingungslose Hingabe und Annahme dessen, was ist. Interessanterweise wird auch in einigen indischen und tibetischen Yoga-Praktiken und in der japanischen Zen-Praxis der Schmerz bewusst als "Vehikel" benutzt, um die Aufmerksamkeit vom eigenen Gedankenstrom in die Gegenwart des Hier-und-Jetzt zurück zu lenken (während zahlreicher Zen-"Sesshins" habe ich mich, wenn ich angespannt oder schläfrig war, immer wieder freiwillig mit dem "Keisaku"-Stock auf Nacken, Schultern und Rücken schlagen lassen und dabei oft gespürt, wie Körper und Geist dabei wacher wurden und mein Bewusstsein danach für eine Weile leer und kristallklar wurde, bis der Gedankenstrom, die Müdigkeit oder die Schmerzen wieder einsetzten).
Auch die körperliche Regungslosigkeit, wie sie durch das Bondage unter optimalen Bedingungen bewirkt wird (die ich in meinem "Alleingang" daheim bisher natürlich nicht erreichen konnte), gehört ebenfalls untrennbar zur Praxis des Yoga und des Zen. Allerdings ist sie dort nach meiner Erfahrung sehr viel schwerer zu erreichen, geschweige für längere Zeit aufrecht zu erhalten, weil ich sie dort ohne jegliche äußeren Hilfsmittel allein erlangen muss. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass diese Art von Bewegungslosigkeit, verbunden mit dem totalen Loslassen und Aufgeben, dass im (voll) gefesselten Zustand zwangsläufig irgendwann eintritt und der starken Reizreduktion ("sensorische Deprivation"), die z. B. durch das Verbinden von Augen, Ohren und anderen Sinnesorganen oder das Einpacken in ein Vakuumbett erreicht werden kann, auch beim Bondage im besten Fall zu jenem extatischen Zustand der totalen ("ozeanischen") Selbst-Ent-Grenzung führt, den die Yogis und Zen-Meister "Samadhi" nennen und der ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum spirituellen Erwachen ("Erleuchtung", "Satori", "Nirvana") ist. Solche Erfahrungen machte beispielsweise auch der amerikanische Neurophysiologe und Delfinforscher John C. Lilly in einem abgedunkelten und schallisolierten Tank mit konzentriertem Salzwasser, den er deshalb Floating- oder Samadhi -Tank nannte. Vielleicht vermischt mein Gehirn nicht zufällig die Begriffe "Bondage" und "Bonding", weil die Anbindung des Körpers möglicherweise auch eine (Wieder-)Anbindung des Ich-Bewusstseins an den "göttlichen Schoß", das universelle göttliche Bewusstsein und die Urseelenessenz schaffen kann. Aber dies kann ich - auch wenn es mir durchaus stimmig und plausibel erscheint - momentan nur vermuten, weil mir derartige Bondage-Erfahrungen mangels geeigneter praktischer Möglichkeiten bislang fehlen.
Ich danke Dir von Herzen für Deine inspirierenden Informationen und Gedanken und hoffe sehr, Dich mit meinen Gedanken und Informationen zu diesem (für mich sehr wichtigen) Thema nicht zu sehr gelangweilt, sondern ebenfalls zumindest etwas bereichert zu haben. Ich würde mich auch über ein Feedback von Dir dazu ebenfalls sehr freuen, falls Du dafür Lust und Zeit hast und Dich dieses Thema nach wie vor interessiert.
Auf jeden Fall aber ganz liebevolle Grüße von mir mit den besten Wünschen und eine wundervolle Sommerzeit!
-pegasuseinhorn-
Anmerkung von Lady Sara: Über diese Leserzuschrift vom "Pegasuseinhorn" habe ich mich so sehr gefreut, daß ich ihn gebeten habe, sie abdrucken zu dürfen. Der Text ergänzt nicht nur hervorragend meine Gedanken über Katharsis, sondern auch über Tantra, wie ich sie im Blogbeitrag zu Tantra, Sensual Play & Sexological Bodywork und bei den Vorlieben unter Tantra-Massagen und Tantra: Philosophie & Coaching aufgeführt habe.