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Queere, polyamouröse SM-Switch (mit Domina-Nebenjob)

Diese Reflexion habe ich für die "Schlagzeilen" geschrieben, als Schwerpunkts-Text zum Thema „Selbstbilder – pervers oder nicht?“. Als Erläuterung, worum es bei dem Schwerpunkt gehen soll, schrieb das Magazin: "Wie bin ich zu dem geworden, was ich heute bin? Welche Prozesse waren wichtig, damit ich mich als Sadomasochist, BDSMler, Fetischist sehen konnte? Ist meine persönliche Entwicklung mit der Entwicklung meiner Identität als Sub, Dom, Sklave, Dienerin, Sado oder Maso abgeschlossen oder schreitet sie fort? Wie sehe ich mich und was zeige ich meinem Gegenüber davon?" Die folgenden Überlegungen beruhen auf tatsächlichen Gesprächen mit meiner Familie.

Kind, was bist du eigentlich?

Gespräche mit Nicht-SMern

Wenn ich mit anderen SMern zu tun habe, dann setze ich voraus, daß darüber, was SM ist, bereits ein gewisser Konsenz besteht - zumindest aber darüber, was SM nicht ist. Ich unterscheide dann nochmal in "SM im engeren Sinn", wo es ausschließlich um erotischen Schmerz (Pain Play) geht und "SM im weiteren Sinn", wo ich auch Rollenspiele, D/S-Inszenierungen, Fetisch-Erotik, Sensual Play, asymmetrischen Sex etc. einbeziehe.

Wenn mich aber meine eigene Oma (der gegenüber ich, ebenso wie gegenüber dem Rest der Familie, inzwischen geoutet bin) fragt, was ich denn nun eigentlich "sexuell bin" und was die Begriffe bedeuten, die ich so selbstverständlich zu meiner Selbstidentifikation verwende, nämlich daß ich queere polyamouröse SM-Switch sei, dann merke ich, daß weder die Definition von "queer" noch die Definition von "Sadomasochistin" mir einer diesbezüglich völlig unbedarften Laiin gegenüber leicht fallen.

Dass ich "bisexuelle Domina" bin, kann ich noch einigermaßen erklären, solange ich in der Erklärung des Wortes "Domina" das Wort "SM" nicht näher ausführe oder nur -wie schon viel zu häufig - erschreckend peinlich berührt nicke, wenn ich gefragt werde, ob das "das mit der Peitsche" ist. Ich hasse eigentlich das plumpe Vorurteil "SM = Draufhauen", das ich genau dadurch bestärke, wenn ich hierzu nicht mehr zu sagen habe und die Leute mit ihrem Halbwissen schmoren lasse. Da hilft es auch nicht wirklich weiter, noch schnell hinterherzuschieben, daß aber alles einvernehmlich sein muss und es keineswegs um brutales Zusammenschlagen geht. Wer ein entsprechendes Bild im Kopf hat, wie es die Medien nur allzugerne prägen, der braucht schon etwas mehr Einblick in Insider-Informationen, um sich eines Besseren belehren zu lassen.

Insbesondere, weil bei mir die Peitsche selten, sogar mich selbst überraschend selten, zum Einsatz kommt, sollte ich doch in der Lage sein, den "SM im weiteren Sinn" auch irgendwie zu erklären - und zwar, ohne Menschen, die bislang keine oder wenig Berührung mit dem Thema hatten, aber positiv neugierig sind, dabei in grober Weise vor den Kopf zu stoßen. Und ohne sie zur Erklärung des einen Begriffs, SM, nur mit weiteren ihnen genauso unklaren Begriffen wie Rollenspiel, D/S, Fetisch, Sensual Play zuzuschütten, bis ihnen der Kopf schwirrt und sie hektisch das Thema wechseln.

Auch daß ich mich der Bequemlichkeit halber Menschen wie meiner Oma gegenüber als "bi" bezeichne und dabei ignoriere, daß ich an mehr als zwei Geschlechtsidentifikationen glaube und meine "Genderqueerness" mir sehr wichtig ist, ärgert mich eigentlich oft an mir selbst. Aber wie Begriffe so erklären, daß mein Gegenüber nicht nur Bahnhof versteht?

Mißverständnisse sind ja geradezu vorprogrammiert, wenn sich alle nur wundern, von was ich eigentlich rede. Ich möchte mich aber verständlich ausdrücken können! Denn man verspielt sich selbst sehr viele -auch gesellschaftspolitische- Chancen, wenn man das nicht beherrscht. Warum zum Beispiel reagierte ich im Gespräch mit meinem Onkel, der bei der CDU in leitender Funktion war, zickig und schnippisch, als er nicht gleich kapierte, warum ich wegen einer diskriminierenden Kündigung aufgrund meiner Domina-Tätigkeit "überhaupt so ein Theater machte" und von einem Politikum sprach - wie sollte er es denn verstehen, wenn ich ihm nicht ersichtlich machen kann, was meine Domina-Tätigkeit ausmacht noch was sie für meine sexuelle Identität bedeutet, noch was eine sexuelle Identität ist… wenn ich beleidigt bin oder zur Abwehr der gekränkten Gefühle provozierend offensiv werde, statt aufzuklären, dann ist niemandem geholfen!

Ich bin SM-erin, weil ich mich bei SM-ern wohl fühle

Wie war es eigentlich bei mir selbst, wann genau habe ich beschlossen, mich als “queer” und als “Sadomasochistin” und als “polyamourös” und als “Switch” zu bezeichnen? Irgendwann vor den jeweiligen Coming-Outs gab es doch eine Zeit, wo ich all diese Fremdworte noch selber gar nicht kannte. Und dann waren sie mir irgendwann beiläufig so geläufig geworden, daß ich ihre Bedeutung gar nicht mehr infrage stellte - ich hatte nie eine Definition davon recherchiert und auswendig gelernt, sondern ich hatte die Bedeutung aus dem Sprachgebrauch “der Szene” heraus interpretiert und dann die Interpretation als allgemeingültig angenommen.

Ganz platt halte ich mich für eine “queere SM-erin”, weil ich irgendwann zufällig in die queere SM-Szene stolperte und mich sofort wohl fühlte, verstanden fühlte, zugehörig fühlte. Weil ich mit meinen Idealen, Hoffnungen und Ansichten, für die ich bis dato keine Worte gehabt hatte, da "genau richtig zu sein" schien - während ich bei vorher bei "normalen Leuten" zu meiner tiefen Betrübnis immer angeeckt war, verletzt/verachtet worden war, als naiv beschimpft oder als pervers beleidigt oder als "leicht zu haben" mißverstanden worden war.

Weil ich mit meiner Sexualität unzufrieden war, bis ich "SMer" kennenlernte und dort einen Umgang mit Sexualität erlebte, von dem ich ursprünglich mal dachte, daß ihn nur die "lasterhaften Heiden" pflegen würden - ich war selbst sehr christlich aufgewachsen, in einem Umfeld (das man eigentlich auch "Szene" nennen könnte, der Begriff ist aber unter Christen ungebräuchlich), in dem Sex vor der Ehe oder zumindest vor der Verlobung ein Tabu war - Sex hatte ein/e gute/r Christ/in erst, wenn er/sie sich "der/dem Richtigen fest versprochen" hatte. Ich habe dies als Teenagerin lange als unerfreuliche, aber geistlich lebenswichtige Richtlinie für mich hingenommen. Gleichzeitig wußte ich, daß "andere Menschen" irgendwelche "zügellosen Orgien" feierten und "der Sünde fröhnten" - und es klang sehr beneidenswert, was ich über diese "Heiden" zu hören bekam. Ich hätte gerne dasselbe "gedurft", aber als bravem Gotteskind stand mir dieser Weg natürlich nicht offen. - Mit 17 habe ich dann rebelliert und die Geburtstagsparty einer nicht-christlichen Freundin besucht, von welcher ich wußte, daß dort "letztes Jahr der M mit der N auf der Waschmaschine gevögelt hat und es der A mit der B hinter'm Sofa getrieben". Ich ging naiv davon aus, daß dort alles so sei, wie ich mir eben die "lasterhaften Parties der Heiden" immer vorgestellt hatte - insbesondere, daß jede/r sich die Freiheit nähme und den anderen Anwesenden die Freiheit lassen würde, alle Formen von Sex auszuleben, auf die die jeweils Beteiligten eben gemeinsam Lust hatten. Wie schockiert war ich von der Doppelmoral, als ich von dem Kerl, der mich gerade gefragt hatte "Na Baby, willst du ficken?" auf mein fröhlich-naives "Ja, gerne" hin (weil ich es endlich ausprobieren wollte!) als "Flittchen" bezeichnet wurde. Und nachdem ich am selben Abend immerhin mit gleich zwei Männern "gefummelt" habe, hatte ich meinen Schlampenruf dann weg im Ort - wie mir die Freundin dann erklärte, hatte ich alle damit brüskiert, daß ich "nicht mal besoffen gewesen" war.

Dann begegnete mir, als ich 21 Jahre alt war, auf einem Lesbensfrühlingstreffen zufällig beim Bodypainting-Workshop eine Frau, für die ich mich interessierte, und sie bezeichnete sich als SM-erin. Ich wollte sie nicht etwa, weil sie SM-erin war, sondern obwohl sie SM-erin war. Aber ich war von ihr begeistert, und so lernte ich über sie andere SM-Menschen kennen und somit die SM-Szene. (Den Begriff “SM-Szene” benutzte ich zunächst auch ohne Recherchieren einer Wortdefinition ausschließlich für die Gruppe von Menschen, die über meine erste SM-Partnerin kennengelernt hatte und auf den Parties und Stammtischen traf, die von einigen dieser Menschen als “SM-Parties” und “SM-Stammtische” ausgerichtet wurden. Daß man den Begriff “Szene” auch hinterfragen kann und insbesondere verschiedene Subszene unterscheiden, habe ich dann nach und nach dazugelernt.)

Die ersten SM-Parties, die ich besuchte, waren in vieler Hinsicht tatsächlich so zu, wie ich es eigentlich von jeder Party, auf der Sex überhaupt praktiziert wurde, erwartet gehabt hätte: einvernehmlich, selbstreflektiert, respektvoll, freundlich. Mein erstes Playdate fand auf einer solchen Party statt - auch hier war ich gefragt worden "Möchtest du spielen?" und hatte voller Neugier (aber auch Angst vor dem "Danach") bejaht - und meine Sorge stellte sich als völlig unbegründet heraus, ganz im Gegenteil: Am Folgetag waren die Beobachter/innen meines "ersten Mals beim BDSM" so überraschend freundlich und herzlich, daß ich wirklich zu Tränen gerührt war. Zu dem Zeitpunkt hatte ich eigentlich selbst noch keine genaue Begrifflichkeit, was BDSM denn nun eigentlich sei und was nicht - aber ich fühlte mich da so wohl, so unglaublich aufgehoben, so zugehörig, daß ich mir wünschte, auch SMerin zu sein. Später probierte ich dann etliche Praktiken aus, die dem SM zugerechnet werden - einige davon mag ich persönlich, andere sind nicht für mich lustvoll - und bezeichne mich seither als SMerin. (Natürlich ist es nicht damit getan, ein einmaliges Erlebnis gehabt zu haben. Ich habe ab da "die Szene" öfter aufgesucht, mich weiterhin dort wohlgefühlt, nicht nur die Praktiken, sondern auch die Lebensentwürfe genossen, die andere SMer mir vorlebten (teils Umsetzungen von Konstrukten, die ich selbst als irreale Hoffnungen schon früher abgetan hatte) und auch in vielen Punkten die Philosophie entweder schon von Anfang an geteilt (nicht wissend, daß es "andere wie mich" gibt und die Gruppe dieser Menschen einen Namen hat) oder dann angenommen, nachdem ich in Diskussionen die Pro/Contra ausführlich erörtert und mir eine eigene Meinung gebildet habe… für mich sind sowohl "die SM-Szene" als auch "viele SM-Praktiken" so wichtige Bestandteile meines Lebens geworden, daß ich ganz klar "SMerin" bin.

Aber bis zur Frage meiner Oma habe ich mich eben nicht mit einer allgemeingültigeren Definition von "SMer/in" bzw. von "SM" auseinandergesetzt - verbal habe ich nachgeplappert, was andere Definitionen vorgaben: meist befassen sich diese Defitionen ausschließlich mit Lustschmerz-Praktiken, und das greift viel zu kurz für mein Selbstverständnis! Denn emotional habe ich damit meine eigene Zugehörigkeit zur o.g. Szene, meine eigenen SM-Lieblingspraktiken und meine eigene Sichtweise auf Beziehungsgestaltung, die stark von besagter Szene mitgeprägt ist, verstanden. Und darin stellt Lustschmerz nur eine Möglichkeit dar - es gibt so viel mehr, was für mich “SM” ausmacht.

Bisexuell oder (gender)queer

Gleichermaßen habe ich mich jahrelang als "bisexuell" definiert (anfangs nur mit Männern schlafend, aber auch Frauen begehrend - irgendwann auch bewußt über Inserate in Kleinanzeigenmagazinen auch Kontakte zu lesbischen Frauen suchend und entsprechende Erfahrungen sammelnd), habe mich aber gleichzeitig auch immer als "Nicht-Frau" empfunden, ohne dafür ein Wort zu kennen. Gleichzeitig habe ich mich allerdings auch nicht als Mann empfunden. Es hat mich einfach nur immer geärgert, wenn irgendjemand zu mir sagte: "Sara, du als Frau kannst doch / mußt doch / willst doch …" - das, was dann an mein Frau-Sein geknüpft wurde, paßte für mich fast nie, deswegen wollte ich auch keine Frau sein bzw. dachte "Wenn Frauen wirklich so sind, bin ich keine!"

Die Wörter "Geschlechtsrollen" bzw. "Geschlechtsrollenzuschreibungen", die Unterscheidung in "Geschlechtsrolle", "Geschlechtsidentität" und "biologisches Geschlecht" kannte ich damals nicht - die hörte ich dann eben erstmalig von Menschen, die sich selbst als "queer" bezeichneten. Einigen von ihnen ging es ähnlich wie mir, alle aber verstanden mich, wenn ich ihnen meine Situation erklärte - was ich von "normalen" Menschen (also denen, die sich nicht in dieser mir noch unbekannten Gruppierung bewegten) nicht gewohnt war - dort hatte ich immer nur Unverständnis geerntet. Irgendwas an den queeren Menschen gefiel mir also, irgendwie paßte ich dort hin - und fortan nannte ich mich "queer". (Dennoch ist Queerness viel mehr als die Auseinandersetzung mit bzw. Hinterfragung von Geschlechterrollen. Dieser Aspekt ist eigentlich nur sogenannte Genderqueerness. Das wiederum wurde mir dann allerdings erst verzögert klar, und nicht mit allen queeren Ansätzen kann ich mich identifizieren, nenne mich aber dennoch weiterhin lieber “queer” als “bi”.)

Fazit

Ähnlich wie ich selbst mich also mit Wörtern/Begriffen zu charakterisieren begonnen habe, mit deren exakter Definition ich mich gar nicht bewußt auseinandergesetzt hatte, geht es vermutlich auch anderen Leuten - sicher auch vielen Leser/inne/n dieses Magazins. Oder? Solange man in der eigenen “(Sub)Szene” bleibt oder mit Menschen aus eng benachbarten (Sub)Szenen spricht, klappt meistens die Kommunikation.

Wenn ich aber Drittpersonen -wie Oma und Onkel und Chef- belehren (bzw. einfach sachlich informieren) will, sollte ich mir die Mühe machen, meine Definitionen zu überprüfen, meine Erfahrungen in verständliche Worte zu fassen! Und das ist gar nicht so einfach! Wie geht es euch eigentlich, liebe Leser/inne/n der “Schlagzeilen”: Wißt ihr auch für (Sub)Szene-Laien zu benennen, wer und was ihr seid???


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