Am liebsten hätten wir sicherlich alle einfach sorglos unseren Spaß, unsere Lust, die uneingeschränkte Befriedigung unserer erotischen Sehnsüchte. Aber da Unwissenheit nicht vor Krankheit schützt, müssen wir uns doch leider auch mit den unangenehmen Themen befassen, um unsere Sexualität bewußt auch im Hinblick auf ihre Gefahren zu gestalten.
Sex soll uns erregen und befriedigen, aber nicht krank machen. Heutzutage lernt jedes Kind bereits in der Schule, dass beim Sex "Kondome schützen" - und zwar nicht nur vor Schwangerschaften, sondern auch und insbesondere vor Infektionskrankheiten. Geschlechtsverkehr mit Kondom wird daher von einigen Leuten "safe sex" (sicherer Sex) genannt. Wenn man allein durch das Benutzen von Kondomen beim Vögeln nun vor Aids und allen übrigen sexuell übertragbaren Krankheiten gefeiht wäre, dann wäre alles gut. Aber selbst wer keine andere Praktik ausübt als den klassischen Verkehr und wer dabei konsequent Kondome benutzt, hat dennoch ein Restrisiko. Zum Beispiel, weil Kondome reißen können. Oder unsichtbar undicht sein können. Oder bei falscher Benutzung abrutschen können. Außerdem gibt es noch andere Krankheiten, die beim Verkehr vom einen Menschen auf den anderen übergehen können, auch wenn kein direkter Sperma-Austausch stattfindet. Es ist also schon bei der einfachsten Blümchensex-Praktik, beim ganz normalen Bumsen, nicht so einfach mit der "Safety", also der Sicherheit bezüglich Krankheiten. Um dies zu verdeutlichen, sprechen viele Leute lieber von "safer sex" als von "safe sex" - mit der Betonung darauf, dass es "so richtig sicher", also "safe" zwar nicht geht, aber immerhin "safer", was "mit ziemlich hoher Sicherheit" bedeuten soll.
Egal wie man es nennen mag, die meisten Leute sind sich einig, dass beim "safe" oder "safer" Vögeln ein Kondom vonnöten ist. Aber schon bei oralen Praktiken, also beim Lecken und Blasen, gehen die Unsicherheiten wieder los: manch eine/r übt auch diese Praktiken grundsätzlich mit Latex-Schutz aus (Glyde Dam beim Cunnilingus, Kondom beim Fellatio), der/die andere beschränkt sich auf "Sperma nicht schlucken" und "Möse-Lecken nur während der periodenfreien Zeit". Es werden entweder alle Kontakte mit den fremden Körperflüssigkeiten möglichst gemieden, oder eben nur die gefährlichsten - also die Aufnahme derjenigen Körperflüssigkeiten, die laut wissenschaftlichen Erkenntnissen die höchste Konzentration von Krankheitserregern haben, sofern der entsprechende Mensch infiziert ist. Es gibt also verschiedene Abstufungen von "safer". Auch beim Fingern werden teilweise Handschuhe empfohlen, andere Leute verzichten aber gänzlich darauf. Es ist übrigens zu beobachten, dass die lesbische, schwule und heterosexuelle Subkultur hier bgzl. gleicher Praktiken teilweise sehr verschiedene Safer-Sex-Regeln propagieren. Letztlich hilft es nur, sich selbst über die jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren und dann zu entscheiden, wieviel Risiko man noch in Kauf nehmen und welche Gefahren man vermeiden möchte. Es gibt kein "safe", und bzgl. "safer" scheiden sich die Geister.
Weil es keine Safety beim Sex gibt, und keine klaren Richtlinien für "safer sex", halten einige Menschen auch die Bezeichnung "safer" für irreführend, da verschleiernd. Leute mit Halbwissen glauben dann nämlich, sich "safe" (also sicher) zu verhalten und verkennen die Tatsache, dass die Regeln schon nur auf Aufsteckungs-Wahrscheinlichkeiten basieren und zudem nicht immer eindeutig befolgbar sind, selbst wenn man sich bemüht - z.B. eben wegen Materialfehlern des Latexschutzes, oder wegen Anwendungsfehlern im "Eifer des Gefechts". Wer betonen möchte, dass es ein Risiko gibt und dass man dieses kennen und nicht ignorieren sollte, spricht von "risk-awareness" - also Risikobewußtsein - statt von "Safety" - also Sicherheit.
Während jemand, der keinen BDSM betreibt, sich nur über die im Vanilla-Sex (also Sex ohne BDSM-Elemente) verbreiteten Praktiken und deren Risiken Gedanken machen muß, gibt es im Bereich des BDSM noch eine Vielzahl von anderen Praktiken, die ebenfalls gefährlich werden können - und zwar nicht nur bzgl. der Übertragung von Infektionskrankheiten, sondern auch bzgl. ungewollter Körperverletzung, oder bzgl. ungewollter psychischer Effekte. Analog zum Begriff des "safer sex" spricht man auch von "safer play", wenn man sich bewußt darum bemüht, diese Gefahren möglichst kleinzuhalten, indem man Schutz-Maßnahmen anwendet. Auch hier gibt es wieder Abstufungen, weil man Gefahren nie ganz ausschließen, sondern nur reduzieren kann - und da es hier wieder bei den verschiedenen Praktiken verschieden hohe Gefahrenpotentiale gibt, die man durch bestimmte Maßnahmen nur mit verschieden hohen Wahrscheinlichkeiten ausschließen kann und mit der Restwahrscheinlichkeit notgedrungen in Kauf nimmt, sofern man nicht ganz auf die Praktik verzichtet, muß man letztlich auch hier wieder "risk-aware" nach entsprechender Aufklärung die jeweils selbstverantworte Entscheidung treffen. So wie es beim Vanilla-Sex aber zumindest bekannte Empfehlungen für GV, OV, AV, Petting gibt, gibt es auch beim BDSM für die verschiedensten Praktiken Empfehlungen. Machen Sie sich vor jeder Session mit den Empfehlungen für die von Ihnen bevorzugten Praktiken vertraut!
Beim BDSM gibt es typischerweise einen führenden und einen geführten Part - also eine asymmetrische Konstellation. Zwar gibt es "Safer Play"-Richtlinien, wie man Mißkommunikation vermeiden kann (ausgiebige Vorabsprachen VOR der Session; Codewörter und nonverbale Signale IN der Session), aber es bleibt doch ein Restrisiko: der passive Part kann beim Vorgespräch wichtige Infos (evtl. aus Unkenntnis) ausgelassen haben, der aktive Part kann das Vorgespräch mißverstanden haben oder auch wichtige Aspekte daraus vergessen (trotz aller guten Absicht ist auch das leider menschlich), der passive Part kann das Codeword oder Codesignal wohlmöglich nicht oder nicht schnell genug äußern, der aktive Part überhört oder übersieht es wohlmöglich und/oder kann nicht schnell genug reagieren. Seien Sie sich auch dieser Problematiken bitte bewußt! Es handelt sich hier um grundsätzliche Risiken von asymmetrischen Settings, die auch der passive Part explizit in Kauf nimmt, wenn er sich in das Spiel mit dem aktiven Part (wissend um dessen Menschlichkeit) aus freien Stücken und eigenverantwortlich begibt.