Blog-AnkerBlog-Rubrik : Reflexionen
Den folgenden Text hatte ich bei den Schlagzeilen eingereicht, für eine Ausgabe, wo es um Coming Outs bzw. um Tabus gehen sollte. Leider wurde der Artikel als nicht bdsm-zielgruppengerecht abgelehnt, nun findet ihr ihn also hier bei meinen Reflexionen.
Ich bin Physikerin (erstes Studium), Informatikerin (Hauptberuf), Domina (Nebenberuf) und seit neuestem auch Psychologin (zweites Studium). Und war als psychologische Praktikantin im Knast. Mittlerweile sogar schon zweimal. Und beide Male haben mich die Insassen extrem diskret auf meinen Fernsehbeitrag zum Thema “Schmerz” angesprochen, den sie in der ARTE-Mediathek gefunden hatten. Die Sendung 42 - die Antwort auf (fast) alle Fragen hatte etwa ein Jahr vor meiner ersten Praktikumszeit ein Interview mit mir geführt, in meinem eigenen Playroom, und in meinem eigenen privaten Wohnbereich. Ehrlich gesagt hab ich nicht damit gerechnet, dass die Sendung überhaupt von vielen Menschen angeguckt wird …
… aber Inhaftierte haben offenbar viel Zeit. Es gibt Anspruch auf einen Fernseher, und es gibt viel langweilige Zeit auf den Zellen.
Im ersten Gefängnis wurde ich angesprochen, als ich den Gang entlang lief. Auf dem Weg zu einem Gruppengespräch mit dem Sozialarbeiter. “Entschuldigen Sie, darf ich Sie mal was fragen?” Ich zögerte kurz, ich bin ja “nur” Praktikantin gewesen und sollte nicht nennenswert viel mit den Gefangenen sprechen, nur unter Aufsicht des praktikumsbetreuenden Psychologen. Oder sogar, im anderen Gefängnis, lediglich schweigend hospitieren. Und irgendwie klingt diese Frage so, als wäre das eine persönliche Frage. “Ja, klar.”
“Waren Sie im Fernsehen?”
Nochmal Zögern. Es gibt nur diesen einzigen Fernsehbeitrag von mir. Abstreiten? Nein, erstens ist das nicht eine Art, und zweitens bin ich auch irgendwie stolz. Ich möchte zu meinem Coming-Out auch hier stehen, zumindest, wenn ich gefragt werde. Hab mich doch bewußt schon vor Jahrzehnten gegen ein Doppelleben entschieden.
“Ja. Sie meinen auf ARTE, gell?”
“Ja, war cool.”
Doch noch ein Rückzieher in meiner Offenheit. Er hat es ja schon gesehen, aber ich will nicht wieder einen großen Trubel. Damals, beim Versuch einer Doktorarbeit zum Dr.rer.nat. mit einer physikalischen Aufgabe in der Medizin, hatte ich ja mal einen Diskriminierungsprozess geführt, als man mich wegen der Domina-Tätigkeit gekündigt hatte, aber dann letztlich doch die Abfindung angenommen und mich nicht bis zum EuGH hochgeklagt. Ich hatte mir vorgenommen, wenn es nochmal so einen Ärger gibt, dann ggf. auch nochmal zu klagen. SM soll kein Tabu sein, das mich aus seriösen Berufstätigkeiten “kicken” kann. Und wenn es das bislang noch ist - dann sollte das geändert werden! Also, fuck, ja, wenn es sein muss, werde ich wieder dazu stehen. Aber…
…drauf anlegen will ich es gerade doch nicht. “Erzählen Sie’s aber besser hier nicht so offen herum. Ich will keinen Ärger kriegen.”
Der Häftling guckt mich verwundert an: “Wieso? Sie können doch in Ihrer Freizeit machen, was Sie wollen!” - Tja, das hatte ich damals auch gedacht. BDSM-erin (aktiv und passiv) im Privaten und Profi-Domse im Nebenjob zu sein, das hatte in der wissenschaftlichen Forschung nicht funktioniert, obwohl ich damals nur mit einem lichtempfindlichen Mikroskop im dunklen Keller stand. Allein, ohne Kunden- oder Patienten-Kontakt. Jetzt hab ich (stark eingeschränkten) Kontakt zu Insassen. Wenn die Institution “Justizvollzugsanstalt” von meiner Nebentätigkeit offiziell erfährt, …
… gibt es bestimmt wieder Ärger. (In Gefängnis Nr. 1 wusste es mein Praktikumsbetreuer sogar. Aber auch er hatte gesagt, das solle ich nicht zu laut sagen. Schlimm genug, dass ich in einem Gefangenengespräch, in dem ich in seinem Beisein selbst auch hatte sprechen dürfen, einen Hinweis auf eigene Bisexualität gegeben hatte. So ganz wollte er mir nicht verbieten, sowas zu sagen - aber ich solle mir doch sehr überlegen, wie weit ich mich öffne. - Und gerade als Frau im Männerknast….)
Wie auch immer, der Häftling fand nichts Besonderes daran. Er fand es einfach nur “cool”, dass er mich im Fernsehen gesehen hatte. Sagte nichts weiter zu SM. Fragte nichts. Belästigte mich nicht. Begaffte mich nicht. Und ich war happy.
Es war schön, nicht versteckt zu sein. Zumindest nicht ganz versteckt.
In Gefängnis Nr. 2 war es ähnlich. Kurz vor dem Gottesdienst sprachen mich zwei Gefangene an. “Wir haben Sie im Fernsehen gesehen. In der Sendung über Angst.” - Häh, Angst? Ich hab doch nur was über Schmerz gedreht. - “Sie meinen Schmerz?” - “Ja, genau, Schmerz war es.” Auch hier kein Folgegespräch, aber ein anerkennender Ton. Auch sie schienen es einfach cool zu finden, nicht mehr und nicht weniger. Nichtmal wichtig genug, um sich den Unterschied zwischen Schmerz und Angst zu merken. So sehr sadomaso-interessiert schienen sie nicht zu sein.
Aber als ich sie bei einer Psychologie-Gruppe wiedersah, fragten sie nochmal: “Wie lang ist das her, dass das Interview gemacht wurde?” - “Noch nicht so sehr lang, vor ca. einem Jahr.” - “Da hatten Sie noch kurze Haare.” - “Ja, genau. Ich ändere meine Frisur immer mal wieder.”
… eine weitere Person fragte nach: “Um was für ein Interview geht es?”
Hm, nun hab ich also eine neue Situation. Jetzt fragt jemand, der das noch nicht gesehen hat. Und es sitzt noch ein weiterer Mann dabei. Meine betreuende Psychologin ist gerade noch nicht im Zimmer.
Ich antworte. Kurz, unverstellt: “Ein Interview als Domina. Wurde bei mir zuhause gedreht.” - Der, der gefragt hat, sagt nur: “Ach so.” Der, der dabei saß, sagt nichts.
Es ist kein großes Thema.
Es scheint auch kein großes Tabu zu sein.
Es scheint “normal” und “cool” und auch “uninteressant” zugleich zu sein.
In Knast Nr. 1 habe ich noch von dem Gang-Gespräch erfahren, dass es die ganze Station schon gesehen hat. Das flog mir nicht um die Ohren. Zumindest nicht, soweit ich weiß. Allerdings wurde ich hier nach 4 Wochen gekündigt. Aus einem meines Wissens nach anderem Grund. Schien was mit meinem Asperger-Autismus zu tun gehabt zu haben und damit, dass ich eine soziale Situation verkannt hatte. - Ein Angestellter des Gefängnisses war seinerseits bekennender BDSMer. Er trägt offen den Ring der O an der Hand, und er hat ein eindeutiges Tattoo. Mit ihm war ich auch ins Gespräch gekommen, draußen, beim Feierabendbier. Als ich gekündigt wurde, merkte er an, dass es evtl. ja doch etwas mit meinem Fernseh-Beitrag zu tun gehabt habe.
Ich weiß es nicht. Ich habe drüber nachgedacht, ob ich mir statt als Psychologin evtl. auch vorstellen könnte, wirklich als Domina im Knast zu arbeiten. In Langzeitbesuchen. Verschiedene Bundesländer haben dafür verschiedene Regeln. In einigen Ländern dürfen die Sträflinge nur mit den eigenen Ehefrauen ins “Fickzimmer”, in anderen Längern muss man sich irgendwie überprüfen lassen - aber das würde ich ja machen. Aber hätte ich dort nicht doch Angst? - Darüber habe ich nicht offen mit den Angestellten gesprochen, nur generell die Rechtslage zu Prostitution im Knast erfragt. Einige Angestellte fanden es vollkommen logisch und richtig, dass das “natürlich verboten” ist. Andere waren der Meinung, es täte dem allgemeinen Klima sicher gut, wenn die Gefangenen sich sexuell auspowern könnten. (Auf BDSM kam das Gespräch nicht. Ich dachte trotzdem sowohl über aktiven als auch passiven BDSM nach. Und über die notwendige und zumutbare Überwachung. Und über die Risiken, hinterher gestalkt zu werden.) Und wieder andere erklärten mir, dass das doch allein deswegen nicht geht, weil alle Nutten logischerweise so käuflich wären, dass sie dann auch Drogen etc. reinbringen würden. Naja, das wäre ich nicht.
Keine meiner Fragen ist beantwortet. Ich überlege, ob es sogar zu “tabu” ist, diesen Artikel überhaupt zu schreiben….
… aber mich interessieren eure Gedanken dazu, also habe ich ihn geschrieben!