Vorlieben

Gender Play - das Spielen mit Geschlechts-Identitäten

Gender Play heißt wörtlich übersetzt: Spiel mit den Geschlechtsidentitäten. Damit bezeichnet man meistens das temporäre Schlüpfen in eine andere Geschlechterrolle als die eigene, gelegentlich auch das Karikieren der eigenen Geschlechterrolle.

Was sind Geschlechts-Identitäten bzw. Geschlechts-Rollen?

Um über Detailfragen rund um "Geschlecht" überhaupt reden zu können, müssen zuerst ein paar Begrifflichkeiten geklärt werden. Wir müssen "medizinisches Geschlecht", "Geschlechts-Identität" und "Geschlechts-Rolle" unterscheiden. Dummerweise werden in der deutschen Sprache alle drei Begriffe oftmals vereinfachend (nämlich dann, wenn dem/der Sprecher/in ganz klar zu sein scheint, was er/sie/es meint) nur als "Geschlecht" bezeichnet und dann ist die Verwirrung geradezu vorprogrammiert.

Im Englischen heißt "Geschlecht" übrigens "sex" (was für uns Deutsche auch ein bißchen irritierend ist, weil wir bei "sex" leicht an "Sex"="Sexualität" und somit einen Geschlechts-Akt denken) und "Geschlechts-Identität" heißt "Gender", das sind immerhin zwei verschiedene Begriffe. Und die "Geschlechtsrolle" heißt im Englischen "Gender Role" (wörtlich also Geschlechtsidentitäts-Rolle).

Dass viele Menschen die drei Bedeutungen, die alle mit "Geschlecht" tituliert werden, nicht näher unterscheiden, liegt auch daran, dass sie davon ausgehen, dass sich aus dem medizinischen Geschlecht genauso automatisch die Geschlechts-Identität und die Geschlechts-Rolle ergeben würden, wie sich bei einem Pferd, das als "Schimmel" bezeichnet wird, automatisch die Farbe (nämlich: weiß) ergibt. Allerdings stimmt das im Pferde-Beispiel meines Wissens nach immer, im "Geschlechts"-Beispiel stimmt es zwar häufig, aber es gibt auch Personen, für die das so nicht zutrifft und/oder die das -mehr oder weniger tiefschichtig- hinterfragen.

Wer gar nichts hinterfragt, geht davon aus, daß es die beiden Geschlechter "Mann" und "Frau" gibt, und damit scheint alles gesagt zu sein. Dies ist ein bipolares Geschlechterverständnis, weil es dabei genau zwei Pole gibt. Wer "Mann" bzw. "Frau" ist, hat Penis/Hoden oder Vulva/Vagina, fühlt sich "männlich" bzw. "weiblich" und verhält sich auch so. Das Besitzen bestimmter Geschlechts-Organe, die man gleich bei der Geburt eines Babies auf den ersten Blick erkennen kann, legt also -scheinbar eindeutig- alles fest.

Nun ist es aber so, daß ein gewisser Prozentsatz an Babies mit uneindeutigen Geschlechtsorganen geboren wird. Manchmal ist der Hormonhaushalt auch anders, als man es bei eindeutigen Geschlechtsorganen erwarten würde. Dann ist das Baby ein Zwitter, Hermaphrodit bzw. Intersexuelle*r. (Gebräuchlich ist heutzutage eigentlich nur das Wort "intersexuell", ich führe die anderen Begriffe allerdings trotzdem aus, da sie einigen Leser*inne*n vielleicht dennoch vertrauter sind.) Und schon gibt es beim "medizinischen Geschlecht" also mehr als zwei Variationen.

Aber selbst wenn wir Intersexualität für die folgende Diskussion mal außer Acht lassen und von einer eindeutigen Biologie ausgehen möchten, "fühlt" sich nicht jeder "biologische Mann" als "sozialer Mann" und nicht jede "biologische Frau" als "soziale Frau" - Menschen können sich unglücklich mit dem von ihnen "als Mann" oder "als Frau" erwarteten Verhalten / mit den von ihnen "als Mann" oder "als Frau" erwarteten Aufgaben / mit dem von ihnen "als Mann" oder "als Frau" erwarteten Aussehen etc. fühlen - übrigens sogar dann, wenn sie selbst die jeweils von der Gesellschaft/Kultur geprägten Überzeugungen teilen, daß ein bestimmtest Verhalten/ eine bestimmte Erfüllung von Aufgaben / ein bestimmtes Aussehen etc. "einem Mann angemessen" oder "einer Frau angemessen" wäre. (Ob es eine solche "Angemessenheit" überhaupt gibt, kann wiederum hinterfragt werden. Und wenn man "Angemessenheit" unterstellt, unterliegt es dem Wandel der Zeit, was jeweils als "dem Mann angemessen" und "der Frau angemessen" gilt. Heute zum Beispiel gilt es nicht mehr als unangemessen, wenn Frauen Hosen tragen - früher war das ein Skandal. Dazu gibt es etliche weitere Beispiele.)

Menschen können sich aber auch unglücklich mit ihren Geschlechts-Organen (und/oder dem oftmals damit einhergehenden Körperbau, Hormonhaushalt etc. - also mit ihrem "medizinischen Geschlecht") fühlen, ein "biologischer Mann" mit Penis/Hoden kann sich z.B. eine Vagina/Vulva wünschen und oder eine "biologische Frau" kann sich Penis/Hoden ersehnen. Menschen können sich aber auch wünschen, daß sie mal die eine, mal die andere Körperlichkeit haben und dazwischen hin- und herwechseln können. Oder dass sie einen Mix aus "männlichen" und "weiblichen" Organen/Hormonen besitzen.

Wünscht sich ein "biologischer Mann", sich "wie einer Frau angemessen" zu kleiden, zu verhalten, deren angemessene Aufgaben zu erfüllen etc, dann ist er mit seiner "Geschlechtsidentität als Mann" nicht einverstanden und wünscht sich eine "Geschlechtsidentität als Frau". Umgekehrt kann sich eine "biologische Frau" auch eine "Geschlechtsidentität als Mann" wünschen. Allerdings können sich auch sowohl "biologische Männer" als auch "biologische Frauen" wünschen, dass die Vorgaben, was "angemessen" sei, komplett aufgehoben würden. Je nachdem spricht man von "transgender" (= sich die "gegenteilige" Geschlechtsidentität wünschend) oder von "genderqueer" (= Geschlechtsidentitäten hinterfragend).

Wünscht sich ein "biologischer Mann" die körperlichen Attribute einer Frau (also deren Geschlechtsorgane und/oder "typischen" Körperbau und/oder deren "typische" Behaarung/Haarlosigkeit etc.), kann er sein Ziel durch eine Hormontherapie und eine Operation zu erreichen versuchen. Umgekehrtes gilt natürlich auch, wenn eine "biologische Frau" gern "körperlich ein Mann sein" möchte. Zur vollständigen Zufriedenheit klappt sowas leider beim derzeitigen Stand der Medizintechnik niemals. Einige Menschen, die gerne eine Änderung des "körperlichen Geschlechts" auf "das Gegenteil" (=eine Transition) durchführen lassen würden, verzichten wegen der unzureichenden zu erwartenden Resultate ganz oder teilweise darauf (nehmen evtl. nur Hormone und/oder operieren nur den Brustbereich, aber nicht den Intimbereich etc.), andere gehen bis an die Grenzen der derzeitigen Möglichkeiten. Auf jeden Fall spricht man von "Transsexualität" oder "Transidentität", wenn jemand klar das körperliche Geschlecht wechseln möchte (unabhängig davon, ob er/sie/es dies wirklich umsetzt) und das "andere" körperliche Geschlecht anzunehmen wünscht - wobei "das andere" natürlich wieder unterstellt, daß es nur die zwei Seiten der Medaille gibt.

Nicht alle Transgender (= Menschen, die die "andere" Geschlechtsidentität ausleben wollen) sind auch transsexuell (= Menschen, die sich das "andere" körperliche Geschlecht wünschen).

Insbesondere sehen genderqueere Menschen (= Menschen, die die Bipolarität oder gar die Existenz der Geschlechtsidentitäten hinterfragen) häufig keine Notwendigkeit, das körperliche Geschlecht zu verändern. (Einige verspüren diesen Wunsch trotzdem - z.b. in Hoffnung auf bestimmte Gefühle/Erfahrungen beim Geschlechts-Akt. Dann kann man noch die Sehnsucht nach dauerhafter oder temporärer Veränderung unterscheiden, je nachdem, ob man sich dauerhaft oder nur gelegentlich einen anderen Körper wünschen würde, wenn es denn die Möglichkeit zum "Hin- und Herwechseln" gäbe.)

Wer gelegentlich eine "männliche" und gelegentlich eine "weibliche" Geschlechtsidentität fühlt (und ggf. auch gelegentlich einen "männlichen" und gelegentlich einen "weiblichen" Körper haben möchte), kann auch als Genderswitch bezeichnet werden.

Fassen wir also zusammen: Die Medizin kann nicht eindeutig in "medizinisch männlich" und "medizinisch weiblich" unterscheiden, wegen des Phänomens der Intersexualität. // Es gibt keine eindeutigen Verhaltens-/Kleidungs-Regeln oder Aufgabenbereiche für medizinische Männer, medizinische Frauen und für Intersexuelle, weil derartige Regeln und Zuschreibungen dem Wandel der Zeit unterliegen - damit gibt es keine eindeutigen Geschlechtsrollen. // Wenn es keine objektiv "angemessenen" Verhaltensweisen oder Gefühle für "Männer" und "Frauen" gibt, kann auch niemand mehr entscheiden, ob ein persönliches Verhaltensmuster und das Gefühlserleben "männlich" oder "weiblich" ist und somit gibt es keinen Grund, sich bzgl. eines "sozialen Geschlechts" männlich oder weiblich zu "fühlen" - also passend zur "richtigen" Geschlechtsrolle (cis-gender) oder zur "gegenteiligen" Geschlechtsrolle (trans-gender) - und somit gäbe es auch keine Geschlechtsidentitäten mehr. Da es de facto aber zwar keine eindeutigen Geschlechtsrollen gibt, aber doch unser Denken von gewissen Vorstellungen nahezu zwangsläufig mitgeprägt ist, können wir uns doch eben mit der von der aktuellen Kultur/Gesellschaft (bzw. ggf. auch einer Subkultur) geprägten "Geschlechtsrollenzuschreibung" identifizieren (und dann die entsprechende Geschlechtsidentität "haben") oder aber uns von der gegenteiligen "Geschlechtsrollenzuschreibung" angezogen fühlen (und dann die entsprechende Geschlechtsidentität "haben") oder aber beide Geschlechtsrollenzuschreibungen sehr bewußt für uns ablehnen (was auch eine Entscheidung ist, die teilweise auch unter trans*gender mit einbezogen wird - das Symbol * steht für alle Grauzonen zwischen den Polen "männlich" und "weiblich").

Ich kann also die Frage, wieviele medizinische Geschlechter, wieviele Geschlechtsrollen und wieviele Geschlechtsidentitäten es gibt, nicht beantworten - je nach Enge der Definiton gibt es jeweils "zwei", "drei" oder "unendlich viele".

Und was hat das alles mit BDSM (oder mit Spielen) zu tun?

Wenn wir BDSM im weiteren Sinne als lustvolle Überschreitung von sexuellen/erotischen Konventionen verstehen, können wir selbstverständlich auch im gemeinsamen Spiel die Grenzen unseres jeweiligen Geschlechts-Empfindens (und hier beziehe ich bewußt alle Definitionen von "Geschlecht" ein - wir können rollenspielerisch die Grenzen des körperlichen Geschlechts, der "Angemessenheit" von Verhalten/Kleidung etc. und des eigenen Gefühls, ob wir uns "als Mann" oder "als Frau" etc. präsentieren/inszenieren/erleben etc. wollen) aushebeln.

Je nachdem, ob Sie bislang ein bipolares oder ein kontinuiierliches Geschlechterverständnis (bzgl. aller drei Definitionen von "Geschlecht" oder nur einzelner davon) hatten, wird "Überschreiten" für Sie etwas anderes bedeuten. Viele Männer empfinden es z.B. als erotisch anregende Demütigung, in die "einer Frau angemessene" Rolle und/oder Kleidung "gezwungen" zu werden. Wenn wir das einvernehmlich so als Rollenspiel verabreden, kann dies das Thema unserer Session werden.

(Das Anziehung der Kleidung des "gegenteiligen" Geschlechts wird übrigens auch "Cross-Dressing" genannt.)

Andere Menschen haben -latente oder heftig ausgeprägte, aber lange unterdrückte- Transgender-Anteile in sich und verspüren schon lange die Sehnsucht, die "gegenteilige" Rolle lustvoll mit einer verständnisvollen Person ausspielen zu dürfen. (Das Wort "Spiel" kann sogar hier zu schwach wirken - vielleicht werden sie erstmals eins mit ihrer wahren Geschlechtsidentität, zu welcher Sie sich im Alltag nicht bekennen können. Ich versichere Ihnen, daß ich die Menschen in ihrer Wunsch-Identität sehen kann und Sie nicht etwa für eine "lächerliche Karikutar" halte, sofern Sie sich selbst nicht zu o.g. Demütigungszwecken bewußt ins Lächerliche ziehen wollen.

Ein Demütigungs-Gender-Crossing ist eine völlig andere Sache als ein Gender-Crossing als Ausdruck der eigenen gefühlten Geschlechts-Identität. Sofern Sie sich eine TV-Erziehung wünschen, was der im kommerziellen SM-Bereich wohl gebräuchlichste Begriff für Gender Crossing (Schlüpfen in die "gegenteilige" Geschlechterrolle und/oder -identität) ist, müssen wir also vorher klären, worin ihre eigentliche Sehnsucht besteht: suchen Sie Erniedrigung und/oder ein lustig-bizarres Rollenspiel, oder suchen Sie Verständnis und Anerkennung und Verschmelzung mit dem "inneren Ich"?

Ein "schräges" Rollenspiel muss übrigens auch nicht automatisch mit Erniedrigung verbunden sein. Auch genderqueere Menschen, die sich gegen Geschlechtsrollenzuschreibungen wehren, nutzen gelegentlich gern die bewußten Überzeichnungen von Stereotypen im Rahmen von (BDSM-)Rollenspielen. Das parodierende Hinterfragen der Geschlechterklischees wird auch als Genderbending oder Genderfucking bezeichnet.


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