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BDSM- und Sexwork : Auch für Gefängnis-Insassen?

Ich bin Diplom-Physikerin (seit 2001), nebenberufliche Domina mit bewusst von branchenüblichen Mainstream-Angeboten abweichendem und stärker an der lesbischen Privat-SM-Szene orientierten Konzept (seit 2004) und zugelassene Heilpraktikerin für Psychotherapie (seit 2023).

Im Rahmen des Zweitstudiums der Psychologie absolvierte ich je zwei Klinik-Praktika (Schwerpunkt: stationäre Psychotherapie in Einzel- und Gruppen-Sitzungen sowie statistische Datenerhebung und -verarbeitung) und zwei Praktika in Psychologischen Fachdiensten von Justizvollzugsanstalten (Störungs-Diagnostik, Rückfalls-Prognostik, akute Krisenintervention für Untersuchungs-, Kurzzeit- und Langzeit-Häftlinge, sowie regelmäßige psychologische Gesprächsangebote für Langzeit-Inhaftierte mit Gewalt- und/oder Sexualdelikten).

Mein Interesse für die “Knast-Psychologie” war durch zwei außerplanmäßige Seminare an unserer Universität geweckt worden, zuvor hatte ich kein Bewusstsein für den etwaigen Bedarf der Gefängnisse für Psycholog/inn/en. In einem der Seminare befassten wir uns gezielt mit Pädo-Kriminalität, also der tatsächlichen Ausübung pädophiler Neigungen oder anderweitig motivierter sexueller Handlungen von Erwachsenen an Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen befasst, bei der es (anders als bei reinen Fantasien über solche Handlungen) tatsächliche Mißbrauchs-Opfer gibt. Mit dem Dozenten hatte ich darüber geredet, dass ich bislang als Domina diejenigen Anfragen nach Ageplay (=einvernehmliches Spiel unter Volljährigen, bei denen mindestens eine Person jedoch ggf. eine deutlich jüngere Person im Rahmen einer Art erotischen Impro-Theaters verkörpert) sowie rein verbal-erotischer Thematisierung von “Kinderfickereien” ablehne, bei denen ich mir die Einschätzung nicht zutraue, ob die Annahme des Auftrags beim Gegenüber auch realitätsbezogene kindeswohlgefährdende Lüste wecken oder verstärken und ihn zur Straftat somit inspirieren könnten, während ich andere Ageplay-Settings nach einem ausführlichen Vorgespräch mit meiner Kundschaft ohne derartige Zweifel annehme, eben weil Fantasie und Alltag üblicherweise deutlich voneinander trennbar sind. Wir sprachen darüber, ob meine Sorge in vereinzelten Fällen berechtigt sei, oder ob vielmehr professionelles Ageplay sowie Rapeplay ggf. auch bei entsprechend vorveranlagten oder durch die eigene Biografie entsprechend geprägten (vermutlich eigene Traumata in dieser Weise überdeckenden) Menschen eine verlässliche Ersatzbefriedigung darstellen könnte und somit der Straftatprävention dienlich wäre. Mein Dozent befand dieses Thema zwar für grundsätzlich erforschenswert, kannte jedoch dazu keine wissenschaftlichen Arbeiten und lehnte es auch aufgrund seiner nah bevorstehenden Pensionierung ab, eine entsprechende Studienarbeit mit erster Interview-Exploration zu betreuen. Ich widmete mich also zunächst wieder völlig anderen Fragestellungen.

In beiden Gefängnissen wurde mir dann allerdings in meiner Praktikantinnen-Zeit aber das Prinzip des “Langzeitbesuchs” erklärt, sowie die Möglichkeiten der begleiteten und unbegleiteten Ausführungen und Ausgänge. Nicht jedem Häftling ist gestattet, Besuch im “Fickzimmer” zu erhalten - für diejenigen, die das dürfen, hätte ich jedoch zunächst völlig naiv erwartet, dass die sich auch Escort Girls dorthin bestellen dürften. Die Regeln sind nach Bundesland sehr unterschiedlich: in manchen Ländern werden eine vorherige Eheschließung und deren Bestand und/oder ein entsprechend nachweislich bestehendes Zusammenleben unter gleicher Wohnadresse gefordert, um überhaupt den “Langzeitbesuch” wahrnehmen zu dürfen, bei dem man mit dem besuchs-beantragenden Gast bzw. der besuchsbeantragenden Gästin dann für mehrere Stunden allein gelassen wird und grundsätzlich natürlich auch “nur reden” könnte, in vielen Fällen aber auch Geschlechtsverkehr stattfindet und offenbar manche Knäste auch Kondome dafür zur Verfügung stellen. In diesen Bundesländern hat eine Professionelle also keinerlei Chance, dort einen -oder gar mehrere- Kunden aufzusuchen. Allein meine Frage, ob denn Sexworkerinnen zugelassen wären, löste im ersten Gefängnis völliges Unverständnis aus - SELBSTVERSTÄNDLICH nur die Ehefrauen oder eingetragenen Lebenspartner/innen oder ggf. auch die schon langzeitig Zusammenlebenden. Dass sowohl feste Bindungen auch ohne Trauschein und mit eigener Wohnadresse gleichwertig sein könnten, schien ein undenkbares Konzept und dass Sexualität (in dem Fall noch nicht mit der Frage nach “deliktähnlichen” Rollenspielen, sondern einfach zur Erfüllung der “normalen” körperlichen Bedürfnisse) auch für echte Singles eine Wichtigkeit haben könne, war dort offenbar kein gedankliches Konzept.

Im anderen Bundesland ist der Langzeitbesuch grundsätzlich auch Nichtverpartnerten (etc.) möglich, sofern die jeweilige Person einzeln geprüft ist. Hier waren die Wärter/innen sich aber auch - wenngleich mit größerem Bedauern- darüber einig, dass Prostituierte sich NATÜRLICH NICHT als verläßliche Besucher/innen prüfen lassen könnten. Die Gründe, die aufgeführt wurden, gingen im Wesentlichen in die Richtung, dass Sexworker/innen schlichtweg nicht das Vertrauen genießen könnten, dann nicht z.B. Drogen hineinzuschmuggeln oder Botschaften hinauszuschmuggeln: schließlich sind sie ja käuflich. Meinen Einwand, dass High Class Escorts sich evtl. nach Vorlage eines entsprechenden Führungszeugnisses bewerben könnte, lehnten sie entweder gleich ab (zumal sie sich kaum vorzustellen können schienen, dass es dafür tatsächlich geeignete Anbieter/innenn geben könnte) oder beantworteten ihn mit dem Hinweis, dies sei ja auch im Sinne der Sicherheitsvorkehrungen FÜR DIE PROSTITUIERTE nicht machbar: denn um sicherzustellen, dass diese nicht ggf. doch z.B. von einem Vergewaltiger auch in nicht-gewollter Weise genommen oder von einem Körperverletzer in schlichter Gewalt geschädigt würde, müßten ja dann entsprechende Wachen direkt daneben stehen (zumindest wie bei Ausgängen und Ausführungen jeweils auch bei den ersten Terminen vollzugsrechtlich verlangt) und denen könne man ja nun wirklich nicht zumuten, bei einem Sexualakt präsent sein oder zumindest durch die Scheiben zusehen zu müssen. - Kann man das nicht? Ginge es auch nicht, wenn einzelne Wärter/innen damit wirklich kein Problem hätten? Hätten Wärter/innen berufliche Repressalien zu befürchten, wenn sie sich dazu bekennen würden, dass sie damit keine Schwierigkeiten hätten? Das waren meine Gedanken, die ich aber auch nicht mehr stellte. Weil ich als “kleine Praktikantin” bereits ziemlich große Fragen aufgeworfen hatte, und auch meinen Gesprächspartner/inn/en weder unangenehm zu nahe treten noch zuviel über meine eigene offene Haltung zu (kinky) Sexualität vor Zuschauer/inn/en preisgeben wollte. Aber nachgedacht habe ich dennoch weiter darüber. - Zumal auch eine der Besuchsabteilungs-Bediensteten sagte, dass es sicher auch für die Senkung des Aggressionslevels der Männer insgesamt in den Stationen sorgen würde, wenn diese öfter ihre Energien in Sexualität abbauen könnten. Und ja, einer der Gefangenen hatte auch “meiner” Psychologin, bei welcher ich hospitierte, wenngleich in flapsiger Ironie, auf die Frage, ob sie ihm mit etwas weiterhelfen könne, geantwortet hatte: “Ja, bringen Sie mir doch bitte einen Whiskey und eine Hure.” - Geht es also wirklich nicht? Sollte es gehen können? Würden Gefangene “zu sehr verwöhnt”, wenn sie Kontakt zu Profi-Dienstleister/inn/en aufnehmen dürften (oder ihnen eine wirklich vorab geprüfte Auswahl ähnlich wie andere externe Dienstleistende, z.B. Fußpflege- oder Friseur-Personal) zumindest zur Auswahl gestellt würde, sofern sie deren Honorare dann aus dem eigenen Geld-Guthaben (soweit vorhanden und nicht pfändungsberechtigt) aufbringen könnten? Ist es gerecht oder ungerecht, angemessen oder unangemessen, dass Sex in einer nachweisbaren Partnerschaft, aber nicht in einer nicht-nachweisbaren etwaigen festen Liason und nicht einmal in einer vielleicht sogar nachweisbaren festen Profi-Dienstbeziehung (z.B. zur Stamm-Domina, über frühere regelmäßige Kundenkorrespondenzen) als “Entlastung” angeboten wird, dass ansonsten eben nur psychologische Entlastungs-GESPRÄCHE (diese übrigens durchaus auch ohne straftatsbearbeitende Bezüge, sondern ggf. auch einfach nur “Smalltalk” über Gott und Welt, damit die Inhaftierten sich besser fühlen) in einer JVA möglich sind? Denn es soll ja nach modernem Vollzugsverständnis kein STRAF-BESTANDTEIL sein, mit Isolation oder Bedürfnis-Deprivation bewusst die Schuldigen für ihre Taten BÜSSEN zu lassen. - Ist es also wirklich nicht umsetzbar? Gibt es rechtskonforme Mittel, eine Anbieterin oder einen Anbieter (egal ob Domina, Callgirl, Tantra-Masseurin oder volljährigen Stricher) als Langzeit-Besuch GENEHMIGEN ZU LASSEN, zumindest im Rahmen einer Einzelfall-Entscheidung und unter Berücksichtigung der o.g. Sicherheits-Abwägungen für den Personen-Schutz des/der Professionellen und der Zumutbarkeit für Aufseher/innen z.B. auf rein freiwilliger Basis? Falls es nicht “einfach so” zum Spaß / zur Entlastung / zur Agressions-Senkung o.ä. möglich wäre, wäre es dann in begründeten psychologischen Fällen gerade bei Tätern mit Sexualdelinquenzen sinnvoll - oder bei diesen besonders schädlich? Könnte man es auf sichere Weise mit einer hinreichend großen Stichprobe an interessierten Personen ausprobieren, statistische Daten erfassen und evaluieren? Sollte man das?

Was bereits möglich ist, ist die PRIVATE Kontaktaufnahme von PRIVATEN Frauen (und Männern) zu Gefängnis-Insassen über Plattformen wie jail-mail. Ich hörte mehrmals, dass das eher Frauen mit einem wiederum statistisch vorherrschenden Störungsbild (Borderline-Patient/inn/en, Co-Abhängige etc.) sind und die ggf. zumindest in einigen Bundesländern irgendwann den Langzeit-Besuch genehmigt bekommen, was teils dann zu heftigen Beziehungsproblematiken führt. Wäre genehmigte Prostitition nicht also auch für die Gesellschaft sogar sicherer? Ist es unfair, dass nur ausreichend betuchte Gefangene sich dies leisten könnten?

Könnte ich mir selbst vorstellen, als Domina einen “Hausbesuch” in einer JVA zu machen? Unter welchen Umständen? Welcher Typ von Gefangenen würde eine Domina buchen, die ihre Möse bestenfalls zeigt, aber nicht fickbar ist - würde dieser Konsens eingehalten? Hm, ich WÜRDE die Präsenz der Bediensteten wollen. Müsste ich Real-Vergewaltigungen befürchten, wenn ein Häftlings-Kunde entlassen würde und meine Adresse nicht inkognito wäre? Ich sehe, es ist tatsächlich nicht so einfach. Einen sehr gesicherten Rahmen würde ich mir offenbar auch selbst wünschen als Anbieterin, obwohl mein erster Impuls “natürlich würde ich das machen” gewesen war. Ich beende diesen Text, den ich mit einem klaren Statement beenden wollte, also nun mit vielen offenen Fragen. Das einzige, dessen ich mir bereits gewiss bin, ist, dass es NICHT SELBSTVERSTÄNDLICH ist, dass es NATÜRLICH NICHT geht. Es hätte Hürden.

Und mit dem Schwerpunkt “Kontaktsuche und SM” hat dies Thema auch nur zu tun, wenn zu den sexuellen Grundbedürfnissen zumindest einiger Inhaftierter eben auch SM-Pratiken zählen, und/oder wenn der o.g. straftatpräventive Aspekt von “Rollenspiel jenseits der Norm” (incl. “Dark BDSM”, ggf. auch zu illegalen Fantasien, aber natürlich völlig legal durchgespielt mit Konsens unter Volljährigen) zumindest in einigen Fällen ernsthaft erwogen werden könnte/sollte. Was meint ihr? Sollte es Wege zur (bewachten oder unbewachten, einseitigen oder wechselseitigen) Kontaktaufnahme und -durchführung zwischen Gefangenen und (SM-)Sexarbeiter/innen geben? Schreibt mir gern eure Gedanken.


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